Das letzte Stück

Da war es, das letzte Stück, wobei sich die Frage stellt, hat man es aufgespart, weil es das beste ist, so wie das Dessert nach einem Essen, oder hat man es zur Seite geschoben, weil es das mühsamste, längste ist, so wie man die Steuererklärung erst auf den letzten Drücker ausfüllt?
Nun, ein Blick auf die Karte bestätigt die Annahme 2, es ist das längste und mühsamste.
Der Weg durch den unteren Teil des Toggenburgs führt vorbei an den ausfranselnden Dörfern oben auf der Hochebene, da der Talgrund zu schmal und zu steil ist, weswegen der Fluss nur selten gesehen wird; vorbei an Bauernhöfen mit ihren Kühen, Pferden, Hühner- und Schweineställen, ihren Streuobstwiesen, vorbei an diesen typischen Schieferhäusern, von denen es aber leider nur noch wenige gibt, wodurch die Dürfer beliebig und austauschbar geworden sind.

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Die Hochnebelsuppe war zäh und trotz ihrer Mühen gelang es der Sonne nicht, sie zu vertreiben, was vielleicht auch des Wanderers Glück war, versank doch diese hässliche Agglomeration mit den vielen Gewerbefabriken am Ende des Weges im Schleier der Dämmerung, dort wo der Fluss nach Osten biegt.

Fürstenland

So gegen Mittag zeigte der Hochnebel Erbarmen und verkrümmelte sich; die Sonne begann Landschaft und Wanderer aufzuwärmen.
Die Thur fliesst ostwärts, da die Hobchebene zwischen Winterthur und Wil den Weg versperrt. Auch diese Stück wurde vor gut 90 Jahren kanalisiert, wodurch, wie auf einer Schautafel steht, die Bauern wohlhabend wurden. Leider verschwanden dadurch Kiesbänke, Seitenarme und Tümpel, und mit ihnen Amphibien, Wasservögel, Insekten, Biber und Co. und die Ruderalpflanzen. An einigen Stellen wird der Versuch einer Renaturierung gemacht, allerdings sieht es sehr nach Alibi aus; wenigstens die Erläuterungstafel sind schon professionell, und auch der Biber versucht es hier nochmals.

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Der Damm ist etwa 15 km lang und verläuft bis zur Kantonsgrenze, dort, wo die Ebene zu Ende ist und Fluss nach Norden dreht. Gesäumt durch Uferwälder und etwas Felder endet die Etappe wieder in der Stadt mit der Konservenfabrik.
Die Gegend gehört zum Bezirk Wil, historisch zum Fürstenland. Dieser Begriff rührt daher, dass diese Region, das Toggenburg und andere Gebiete dem Fürstabt von St. Gallen untertan waren. Ja es scheint, dass die frommen Herren damals durchaus weltliche Interessen besassen, bis dann Napoléon dieser (Un) Sitte ein Ende machte.

Lichtensteig

Das kleine Städtchen oben auf einem Felsvorsprung bildet den Abschluss von Mitteltoggenburg, einer Region geprägt durch den kanalisieren Fluss, Fabriken., Kleingewerbe und Bauernhöfen. Aus Erinnerung bekannt ist die Bürstenfabrik in Ebnat, die diese bekannten Trisa Zahnbürsten herstellt, das Buch «der arme Mann im Tockenburg», eine Autobiografie eines Kleinbauern, geschrieben vor über 200 Jahren.
Der Wegabschnitt zwischen dem oberen- und mittleren Toggenburg ist sehr hübsch, der Fluss überwindet die nächste Talstufe  in kleinen Wasserfällen und -schnellen, von links und rechts münden kleine Seitenbäche in den Fluss, der doch schon anständig breit und wasserreich geworden ist.

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Ja, der Spätherbst hat die Landschaft auch schon erobert, auf den Gipfeln schimmert der erste weisse Flaum, andere Wanderer anzutreffen war rar.

Quelle

Hier entspringt sie, die Mutter aller Bäche, wenigstens für die Ostschweizer; eingeklemmt zwischen Churfirsten und Säntis quält er sich Richtung Westen. Die Dörfer sind klein, oft kleben am Hang die kleinen Gehöfte, die Felder mit Bäumen und Sträuchern umrandet. Industrie gibt es hier keine, die Menschen leben vom Tourismus (Hotel Hirschen, Schäfli, Frohsinn und wie sie alle heissen), Milchwirtschaft (Begegnungen mit den massigen Tieren sind häufig, da der Wanderweg doch ihre Futterstellen durch quert) und etwas Kleingewerbe wie Sägereien oder Steinbrüchen. Spannend ist das Projekt Klangwelten, ein Idee, traditionelle Musikkultur dem breiten Publikum näher zu bringen; vielleicht sollte da diese unterirdische Band vom GZ mal einen Schnupperkurs buchen

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Hier oben auf 1000 m.ü.M ist die Thur noch etwas schmalbrüstig, wächst aber ziemlich schnell in die Breite, da von den grünen, voralpinen Hängen unzählige Bäche ihr Wasser der Thur zuführen.
Bekannt dürfte die Region ihrer Skispringer wegen sein, die wirklich perfekte Werbeträger für die Region sind.
A propos, die Strasse führt weiter gegen Osten über den Wildhaus Pass ins Rheintal, im Sommer sicher eine beliebte Töffstrecke.

Konserven

Das erste, was damals mit Bischofszell assoziert wurde, waren Konservern, vorallem Ravioli und die Büchsen mit Karotten und Erbsen, die jeweils an Weihnachten zu russichem Salat verarbeitet wurden, wobei kein Mensch eigentlich wusste, warum dies um diese Festzeit ein Brauch war und woher denn das Wort «russischer Salat» stammt. Die Ravioli Büchsen sind irgendwie negativ in Erinnerung geblieben, weswegen auch heute noch auf den Kauf derselben dankend verzichtet wird. Naja, später war dann doch klar, dass Bischofszell irgendwo in der Ostschweiz liegt, so zwischen St. Gallen und Romanshorn, was aber nicht sehr von Bedeutung erschien, weil der Lebensmittelpunkt sich in die Westschweiz verschoben hatte und die Ostschweiz weiter im persönlichen Dornröschen Schlaf schlummerte.
Unf heute? Bischofszell liegt an der Thur, aha, nicht gewusst, die Konservenfabrik gibt es immer noch, ok, das hübsche Städtchen liegt auf einer Hochebene in der Nähe der Mündung der Sitter in die Thur und gehört immer noch zum Kanton Thurgau, obwohl eine Flasche Wein dagegen gewettet worden wäre, dass hier bereits der Kanton St. Gallen angefangen hat, und der Slogan der Stadt heisst «Rosenstadt im Thurgau».

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Das Bett des Flusses ist bereits ziemlich schmal geworden; es lässt keine Ackerflächen mehr zu; die Dörfer und Städtchen liegen auf den angrenzenden Hügeln und Ebenen, etwa 50 Meter oberhalb der Talsohle. Etwa 10 km nördlch davon zwingt der Bodenseerücken den Fluss nach Westen; das Tal öffnet sich und wird breit, heute intesniv genutzt von der Landwirtschaft, deren Produkte wahrscheinlich eben zu Konserven verarbeitet werden.
Vor gut 200 Jahren, als Überschwemmungen an der Tagsordnung waren, in den Sumpfgebieten sich Malaria ausbreitete, wurde auch mit der Idee gespielt, die Thur mittels Kanal in den Bodensee umzuleiten, was sich aber als viel zu teuer erwies.
An diesem warmen Spätsommertag gab es doch einige Einheimische, die auf den Kiesbänken lagen oder ihre Füsse in ins kalte Nass streckten.

Some like it hot

Ob das eine kluge Idee war, im Hochsommer bei etwa 30 Grad diese Stück abzuwandern, mag im Nachhinein bezweifelt werden; der Substanzverlust scheint doch gross, als ob 6 Stunden in einer Sauna verbracht worden wäre, zumal der Weg zwar doch grössten Teils durch Auwälder führt, wo es schattig und etwas weniger heiss ist, aber topographisch ist es eher langweilig, alles geradeaus, auf dem Damm dem Ziel Weinfelden entgegen.
Fatalerweise kommt man dennoch zum Genuss von Kompostsammelstellen, Feldern, Industrie, Einkaufszentren an der Peripherie der Kleinstadt, da irgendwo vorher das gelbe Schildchen übersehen wurde.
Mit letzten Kräften der Bahnhof erreichend wächst die Erkenntnis, dass auch der Hochsommer in der Schweiz ziemlich heiss sein kann.

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Die Begradigung des Flusses geschah vor gut 130 Jahren mit dem Ziel Überschwemmungen zu verhindern, Landwirtschaftsland zu erhalten und auch die Malaria zu bekämpfen, die damals auch in der Schweiz noch heimisch war. Ein Nebeneffekt der Begradigung ist auch, das in Frauenfeld an der Thurebene ein grosser Waffenplatz gebaut werden konnte, dessen Areal heute grössten Teils unter Naturschutz steht, obwohl noch immer bei Bedarf irgend welche schiesswütigen Soldaten sich dort im Gelände tummeln. Wer sagt denn, dass alles bei der Armee schlecht ist??

sommerliche Üppigkeit

Der Weg verläuft durch Feuchtwiesen, Auwäldern, Feldern, Wiesen, entlang des Flusses, der mal mäandernd, mal eingezwängt in einem Damm sein braunes Wasser Tal abwärts trägt, fernab der kleinen Dörfer, die aus Hochwassergründen am Hang gebaut wurden. Das Krippeln in den Beinen wird mit der Überquerung der Thur in 50 Meter Höhe erreicht, wo der Weg über die Eisenbahnbrücke bei Thalheim führt, nichts für Höhenkranke und Nicht Schwindelfreie.

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Natürlich ist auch hier Renaturierung ein Thema, der Weg entlang des Dammes nach Frauenfeld ist doch etwas eintönig. Umwerfend ist diese dampfende sommerliche Üppigkeit der Vegetation, die irgendwie an die Tropen erinnern.

Picknick

Da sassen sie auf der Wiese unter den Zelten an ihren Tischen und Stühlen, eine italienische Grossfamilie, die Männer spielten Boccia, die Damen unterhielten sich. Gleich oberhalb des Wanderweges hatten sie ihre Autos abgestellt und die Sachen das kurze Stück zum Fluss runter gebracht. Auf der anderen Seite, auf einer Kiesbank lagen Badende an der Sonne, weiter oben spielten Kinder im vom Gewitteregen braun gefärbten Fluss.
Die letzten 15 Kilometer der Thur, bevor sie in den Rhein mündet, wird vielfältig beansprucht, als Naherholungsgebiet zum Baden, Biken oder Wandern, Forst wirtschaftlich, wobei glücklicherweise in den geschlagenen Lichtungen die Regeneration dem Wald selber überlassen wird und als Naturschutzgebiet für Flora und Fauna.

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Die Renaturierung des Fluss hat wieder zur Bildung von Kiesbänken, Sand- und Steilufern und Sumpfwiesen geführt, der Fluss beginnt wieder, Richtung Rhein zu mäandern.
Zwischen Flaach und Andelfingen ist der Boden sehr fruchtbar, Maisfelder wechseln sich mit Getreide-, Kartoffel-, Sonnenblumen-, Spargel- und anderen Gemüsefelder ab. Auch Rebberge durchziehen die Landschaft und laden zu einem Glas Weisswein ein. Das Flaacher Feld ist ÖV technisch nicht besonders gut an den Rest des Kantons angeschlossen, was vielleicht auch dessen Glück ist.