Kerenzerberg

Ein sperrige Felsklotz ist er, der Kerenzerberg; einem Riegel gleich störte er Jahrhunderte lang den Verkehr zwischen Chur und Zürich. Das Verladen auf Schiffe am Walensee erschien zu unsicher, besonders dann, wenn die Herbst- und Frühlingsstürme tobten und der See sich als unpassierbar erwies. Schon die Römer erkannten das Problem, und ihre findigen Baumeister bastelteten eine Strasse über diese Felsklotz, wobei lange dies nur eine Annahme war, bis tatsächlich die Reste eines Wachturmes gefunden wurde, was wiederum den hiesigen historischen Verein sehr erfreute.
Zur Zeit der Freiheitskriege gegen die Lehnherrschaft der Habsburger und des Klosters Säckingen wurde sogar noch eine Lehmmauer errichtet, was verhindern sollte, dass fremde Ritterheere einfach so über den Pass ins Tal her fielen und deren Bewohner massakrierten.
Bis vor gut 50 Jahren quälte sich der Strassenverkehr über den Berg, bevor die Untertunnelung des Felsklotzes die Dörfer wieder in den Dornröschenschlaf schickte.
Die Einnahmequelle hier sind Touristen, die in Campers, Motorräder, Velos mit und ohne Batterien, verrückte Wanderer im Sommer, im Winter, falls Schnee vorhanden, mit Skiern und Snowboards hochfahren und ein bisschen Geld liegen lassen. Die Römer, die ursprünglichen Erbauer der Strasse, scheinen ausgestorben zu sein.

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Falls das Glück hold ist, erwischt man unten am See das Kursschiff, das den tomatisierten Spaziergänger in Richtung Walenstadt gondelt, ein klarer Fall für die Dermatologinnen und Schönheitschirurgen der Familie. Trotzdem es tut gut, den Dialekt wieder zu hören und an de Luft zu schnuppern, wo die Tage gestohlen wurden.

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Fussel

Irgendwie nervte ihn diese kleine Fussel, die da am Ärmel der Jacke hing, und er wischte sie weg. Seine beiden Freunde starrtten ihn verständnislos an, zumal er in der Vergangenheit nicht besonders durch Putzeifer aufgefallen war und diese Arbeit damals lieber den anderen überlassen hatte. Entschuldigend hob er seine Schultern und meinte, dass da wohl die norddeutschen Gene seiner Mutter langsam durch schlägen und die Tessiner Leichtigkeit verdrängen.
Die Photoausstellung im neu erbauten Kunsthaus war etwas enttäuschend; da waren unter Vitrinen Photoalben hingelegt, die das Sammlerehepaar auf Flohmärkten und Auktionen erworben hatte und wahrscheinlich auf Grund irgend eines Bekanntheitsgrades in der Stadt  dem Publikum zeigen durfte. Es war konzeptlos, was geboten wurde, ein paar Videoinstallationen und Einzelbilder über das Alltagsleben irgendwo.
Egal, die Photos traten schnell in den Hintergrund, als draussen am Flussufer in einer Strassenbeiz die ersten Biere flossen und wie üblich nach dieser langen Zeit die damalige WG als Schmelztiegel des Gespräches fungierte.
Auch später im nächsten Lokal in der Innenstadt beschlich einem das Gefühl, dass da drei Freunde sassen, gescheiterte Existenzen mit zerbrochenen Beziehungen, Relikte der damaligen Zeit, wo alles Intellektuelle möglich schien, verloren in ihrer Naivität, ohne zu merken, dass die Gesellschaft schon längst ihre Normen gewechselt hat.
Fussel oder Fusel?

Expedition Dreibündenstein

Da war sie, die grosse «Hochgebirgsexpediton» mit der Familie; obwohl im Vorfeld kräftig die Werbetrommel gerührt, die ganze Marketingmachinerie im Chat hochgefahren wurde, waren es am Schluss doch nur die drei verwegenen Musketiere, die sich der Herausforderung und Gefahren der Rundwanderung Dreibündenstein stellen wollten; die anderen faulen Würmer verbrachten den Tag lieber in der Nähe des kühlen Nasses bei Eiscrème und Bier als sich die Tortur einer Wanderung zu stellen.
Die Wanderung von Branbrüesch nach Feldis ist sehr hübsch und friedlich, vorbei an Wiesen, Weiden, Skiliften, kleinen Tümpeln, Alpwirtschaften, Alpenrosenheiden und Hochmooren.

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Der Dreibündenstein ist kein Berggipfel, sondern eine Grenzmarkierung auf einer Hochebene, der die drei umliegenden Talschaften symbolisiert. Die Route ist beliebt bei Wanderern und Bikern, obwohl der Weg teilweise schmal und steil ist.
Das Endziel Feldis, auf einer Sonnenterrasse gelegen, mit anschliessender Gondelfahrt über den Hinterrhein belohnt die Mühen des Tages. Ah, noch ein Tip: da die Baumgrenze tiefer liegt, wäre Sonnencrème einen super Sache, ansonsten der Familienchat sich wieder mit diversen Sprüchen über das Tomatengesicht lustig macht.

Katzensprung

Nur eine knappe Fahrstunde ausserhalb der Stadt liegt im Thurtal die Anlage der Kartause Ittingen. Bis vor 150 Jahren wurde das Areal von Orden der Kartäuser bewohnt, bevor es wieder verweltlich wurde; heute beherbergt es Hotellerie, Gastronomie, Kultur und Freizeit.
Das Gebiet ist hübsch renoviert, besonders die Gartenanlage mit den Heilkräuter- und Rosenbeeten ist sehr lieblich.

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Der Kartäuser Ordern ist einer der vielen religiösen Lebensgemeinschaften, wie sie eigentlich in allen Weltreligionen vorkommen; ihre Lebensregeln sind ziemlich hart, so legt jeder in der Gemeinschaft ein Schweigegelübte ab, was in unserer schnelllebigen und kommunikativen Zeit nur schwer vorstellbar ist. Es gibt da auch diese Dokumntarfilm «Die grosse Stille», der während dreier Tage das Leben in dieser Gemeinschaft aufgezeichnet hat.

Zurück zu weltlichen Dingen: die Haupteinnahmequelle früher und auch heute noch bilden die Weinberge und die Gemüsefelder, die sich von den Hängen der Kartause bis hin zur Thur erstrecken; falls man auf dem Areal noch die Brauerei sucht, die das feine Ittigner Klosterbräu herstellt, wird man leider nicht fündig. Das Bier wird heute in Chur hergestellt, und das einzige, was noch mit dem Ort verbindet, ist das Hopfenfeld neben dem Eingang, das dem Bier die Würze liefert.

Feinmechaniker

Da fummelten die beiden mit den kleinen Instrumenten im Mund herum; derweil er mit einer kleinen Pinzette den überschüssigen Zement weg kratzte, versuchte die Assistentin mit dem Absaugschlauch das Wasser abzuführen, das sich immer wieder in der Mundhöhle sammelte.
«Jetzt kann es ein bisschen Weh machen, aber nachher gibt noch Bier. Oder willst du eine Spritze und nachher kein Bier?»
Auch so eine Geschichte, die sich so eingespielt hatte; die Termine wurden immer auf Randzeiten gelegt, damit nachher in der Kellerbar der Praxis noch bei Bier und Qualm über Gott und die Welt gelabbert werden konnte; es waren die üblichen privaten Themen wie Kinder, Familie, Lebenspläne usw.
«Schon ok, werde es überleben.»
Da lag der neue Zahn auf dem Tisch und wartete darauf, in den Mund einbetoniert zu werden; die beiden waren ein eingespieltes Team, so dass in kurzer Zeit ihr Werk vollendet war. Wirklich gute Arbeit dieser beiden Feinmechaniker.
Später zu Hause wurde fest gestellt, dass das Buch im Wartezimmer liegen gelassen wurde; hm, da hat wohl beim Verlassen der verrauchten Praxis zur späten Stunde etwas das Erinnerungsvermögen gelitten.

Comer y comprar en Alicante

Lustiger Weise heisst die Lektion des neuen Spanischkurses comer y comprar en Alicante und zufälliger Weise war das Jahrestreffen der Clique an diesem Wochenende in dieser Touristenstadt. Dank des dichten und billigen Flugplanes in Europas war es kein Problem, dass fast alle anreisten um wieder ein paar Seiten aus dem persönlichen Tagebuch zu reissen und sich eher auf comer y beber zu konzentrieren als auf comprar. Sehr empfehlenswert sind Fischgerichte und, falls man Liebhaber davon ist, Meeresfrüchte, die frisch täglich in der riesigen Markthalle gekauft werden können.

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Die Stadt selber ist nur wegen der Strände, der Burg Santa Barbara und der kleinen Altstadt mit seinen unzähligen sehr feinen Tavernen und Bars bekannt; die Neustadt, die sich wie ein Schlange um die Altstadt schmiegt, ist geschäftig, laut und eher hässlich.
Die Saison war schon vorbei und das Gedränge in den Gassen sehr überschaubar; das Baden im Meer, obwohl es noch 20 Grad tagsüber war, doch eine Herausforderung, der sich niemand stellen wollte.

Slovenien

Da stand er, am Eingang des Dorfes, ein Backpacker. Ob ich englisch spreche, fragte er.
«Ja.»
Er sei auf dem Weg nach Slovenien, ob es hier eine Strasse nach Österreich gebe? Die Batterie seines Handys sei leer, so dass er das Navi nicht benutzen können.
«Nach Österreich? Nicht wirklich; es gibt links die Strasse, die über den Pass in das nächste Tal führt; aber die Autos dürfen nur bis zur Passhöhe fahren; von dort musst Du zu Fuss weiter.»
Wie weit es denn von dort sei, zu Fuss.
«Hm, ich denke, sicher 4 bis 5 Stunden; Du gehst besser wieder nach Zürich und versucht von dort ein Auto zu kriegen, so Richtung Chur.»
Ja, dass sei blöde, aber in Zürich sei es schwierig Autostop zu machen, die Stadt sei einfach zu gross. Er wolle eigentlich eher nach Italien.
«Am besten gehst Du zurück nach Schwyz. Hast Du was zu schreiben?»
Er stöberte in seinem Rucksack herum und brachte einen Kugelschreiber zum Vorschein. Ich könne hier auf die leere Innenseite seines Buches schreiben.
«Also, von Schwyz gehst Du nach Altdorf, dann Richtung Tessin, so nach Bellinzona, Lugano, Chiasso. Von dort über die Grenze nach Como, Richtung Verona, Venice und Triest. Dort ist die italienische Grenze nach Slovenien.»
Dankend stopfte er das Buch und den Kugelscrheiber wieder in den Rucksack.
«Woher kommst Du eingentlich?»
Aus der Normandie; er sei schon dreimal nach Slovenien getrampt, aber immer über Deutschland und Österreich. Diesmal habe er beschlossen, über kleine Alpenpässe der Schweiz nach Süden zu gehen.
Wir sprachen inzwschen französisch miteinander. Ob ich Musiker sei, fragte er und deutete auf das John Lenon T- Shirt.
«Nein, nein, aber ich liebe die Beatles, die Stones, Jimi Hendrix.»
Ob ich den ein Instrument spiele?.
«Ja, Gitarre und ein bischen Gesang.»
Er spiele Saxaphon und ein bischen Gitarre.
«Cool, wir proben jeweils am Mittwoch; so, wenn du in Zürich bist, nimm dein Saxaphon mit und schau vorbei. Hier meine Nummer, ruf einfach an. In meinen Kopf tummerln viele Ideen, und ein Saxaphon wäre schon cool.»
Ich schaute zurück; da stand Sam, wie er sich nannte, am Strassenrand und versuchte ein Auto zu kriegen, dass ihn wieder aus diesem engen Tal zurück nach Schwyz brachte.