Fussel
Irgendwie nervte ihn diese kleine Fussel, die da am Ärmel der Jacke hing, und er wischte sie weg. Seine beiden Freunde starrtten ihn verständnislos an, zumal er in der Vergangenheit nicht besonders durch Putzeifer aufgefallen war und diese Arbeit damals lieber den anderen überlassen hatte. Entschuldigend hob er seine Schultern und meinte, dass da wohl die norddeutschen Gene seiner Mutter langsam durch schlägen und die Tessiner Leichtigkeit verdrängen.
Die Photoausstellung im neu erbauten Kunsthaus war etwas enttäuschend; da waren unter Vitrinen Photoalben hingelegt, die das Sammlerehepaar auf Flohmärkten und Auktionen erworben hatte und wahrscheinlich auf Grund irgend eines Bekanntheitsgrades in der Stadt dem Publikum zeigen durfte. Es war konzeptlos, was geboten wurde, ein paar Videoinstallationen und Einzelbilder über das Alltagsleben irgendwo.
Egal, die Photos traten schnell in den Hintergrund, als draussen am Flussufer in einer Strassenbeiz die ersten Biere flossen und wie üblich nach dieser langen Zeit die damalige WG als Schmelztiegel des Gespräches fungierte.
Auch später im nächsten Lokal in der Innenstadt beschlich einem das Gefühl, dass da drei Freunde sassen, gescheiterte Existenzen mit zerbrochenen Beziehungen, Relikte der damaligen Zeit, wo alles Intellektuelle möglich schien, verloren in ihrer Naivität, ohne zu merken, dass die Gesellschaft schon längst ihre Normen gewechselt hat.
Fussel oder Fusel?
pilgrim
Some like it hot
Ob das eine kluge Idee war, im Hochsommer bei etwa 30 Grad diese Stück abzuwandern, mag im Nachhinein bezweifelt werden; der Substanzverlust scheint doch gross, als ob 6 Stunden in einer Sauna verbracht worden wäre, zumal der Weg zwar doch grössten Teils durch Auwälder führt, wo es schattig und etwas weniger heiss ist, aber topographisch ist es eher langweilig, alles geradeaus, auf dem Damm dem Ziel Weinfelden entgegen.
Fatalerweise kommt man dennoch zum Genuss von Kompostsammelstellen, Feldern, Industrie, Einkaufszentren an der Peripherie der Kleinstadt, da irgendwo vorher das gelbe Schildchen übersehen wurde.
Mit letzten Kräften der Bahnhof erreichend wächst die Erkenntnis, dass auch der Hochsommer in der Schweiz ziemlich heiss sein kann.
Die Begradigung des Flusses geschah vor gut 130 Jahren mit dem Ziel Überschwemmungen zu verhindern, Landwirtschaftsland zu erhalten und auch die Malaria zu bekämpfen, die damals auch in der Schweiz noch heimisch war. Ein Nebeneffekt der Begradigung ist auch, das in Frauenfeld an der Thurebene ein grosser Waffenplatz gebaut werden konnte, dessen Areal heute grössten Teils unter Naturschutz steht, obwohl noch immer bei Bedarf irgend welche schiesswütigen Soldaten sich dort im Gelände tummeln. Wer sagt denn, dass alles bei der Armee schlecht ist??
Die Nackten und die Toten
Da sind die in ihren Rollatoren und Rollstühlen, Kranke und Gebrechliche, abgeschoben in die städtischen Einrichtungen, im Wartesaal ohne Zukunft, im starren Rhythmus des Tagesablaufes, froh, irgend jemanden etwas erzählen zu können, der zuhört.
Sie alle waren mal was und werden heute nicht mehr gebraucht und geschätzt, froh, wenn sie Besuch kriegen und vom vergangenen Leben berichten können. Endstation Sehnsucht
Gartenkunst
Eines der Produkte der Städtepartnerschaft mit Kunming ist der Chinagarten am Zürihorn. Als Dank gespendet von der chinesischen Millionenmetropole für die Zusammenarbeit im Bereich Wasserversorgung wurde er von chinesischen Handwerkern als Tempelanlage aufgebaut. Jeder chinesische Garten symbolisiert ein Landschaftsbild, das eben auch die klassischen Elemente wie Pavillon, Teich, Brücke, Pagode usw. enthält; in Zürich wurde die Landschaft Yunnan nachempfunden mit Anlehnung an die Westberge, golden temple und Teehaus. Die Philosophie dahinter ist Verschmelzen von Architektur, Malerei, Kalliographie, Literatur und Bildhauerei zu einem harmonischen Gesamtkunstwerk.
Für die wenigen Besucher stünde sogar ein take away zur Verfügung, was verständlicher ist als die Kunst des Gartens zu ergründen.
Eingeschrieben
«Darf ich für Sie unterschreiben?»
Der Postbote hielt das Gerät für die elektronische Unterschrift in den Fingern, die andere Hand schwenkte einen Brief in der Luft.
«Äh???»
Er wiederholte die Frage und ergänzte, dass wegen der aktuellen Lage die Postboten keinen direkten Kundenkontakt mehr pflegen dürfen, was u. a. heisst, dass die Empfangsbestätigung durch ihn selber gemacht wird, was wieder wahrscheinlich rechtlich doch etwas fragwürdig erscheint.
«Selbstverständlich, kein Problem»
«So, sehen Sie, ich habe noch ‹wegen Corona› hingeschrieben»
Ich sah zwar sowieso nichts, nahm den Brief in Empfang und schloss die Türe. Tja, tja, arme Schweine.
Patumbah liegt auf Sumatra
Wer dachte, dass die Schweiz nicht von den kolonialen Machtansprüchen der europäischen Ländern vor 150 Jahren profitiert hat, dem sei der Besuch der Villa Patumbah empfohlen. Erstellt wurde sie von einem, aus Sumatra zurück gekehrten Abenteurer namens C.F. Grob, der in der damaligen holländischen Kolonie als Tabakplantagenbesitzer ein riesiges Vermögen angehäuft hatte und dieses in Form einer prunkvollen Villa und Parkanlage wieder zum Fenster raus warf.
Heute gehören Villa und Park der Stadt, als Untermieterin ist der Schweizer Heimatschutz eingezogen, der u. a. Ausstellungen und Führungen anbietet.
Ein Podcast Tipp: Walzer in Afrika behandelt die kolonialen Vergangenheit der drei Länder Schweiz, Deutschland und Österreich.
coachhouse blues band
Da sass er, überpünktlich am vereinbarten Treffpunkt Wurstküche, Christoph A. Mayer, seines Zeichen Professor für Zellbiologie an der hiesigen Universität; etwas dick ist er geworden in all den Jahren, wahrscheinlich seiner Ehefrau zu verdanken.
Nach den üblichen Kaltgetränken wurde zum Marktplatz disloziert, der in diesem lauen Sommerabend gut gefüllt war; besonders junge Leute sassen herum, Studenten, die etwa ein Drittel der Bevölkerung ausmachen.
Ohne grosse Überraschung schweifte das Gespräch auf Musik und die damals legendäre Bluesband «coachhause blues band» ab, dieses Trio inferniale, das bei jeder passenden und meistens unpassenden Gelegenheit den botanischen Garten mit ihrer Mission Blues überzog, was im Nachhinein total verrückt war, aber zur damaligen Zeit, wo Botanik quasi ein mehr geduldetes als geliebtes Studienfach war, spielte das keine Rolle. In Erinnerung bleibt dieses traumhaft schöne Happening im nächtlichen, dunklen Tropenhaus, gespielt im Rahmen des jährlichen Sommerfestes des Institutes und Gärtner. Christoph mochte sich noch ziemlich gut an die gespielten Titel erinnern, und eben auch an die miserablen Auftritte, wo leider «dabei sein, ist alles» nicht stimmte.
Tübingen ist eine nette, sympathische Stadt mit hübschen Stadtkern, ein paar Museen und einer grossen, bereits etwa 550 Jahre alten Universität. Wer sich auf Spurensuche in die Stadt begibt, findet Namen wie Hölderlin, Hauff oder Miescher, Wurstküche, Schwarzes Schaf, Forelle, Lichtenstein, krumme Brücke, Hirsch, Collegium oder Kichererbse.
Vielleicht hätte die Geschichte doch besser Kellerbier heissen sollen.
perfect day
