Ecce Homo

Es regnete immer noch, als der Zug im Bahnhof eintraf. Gleich gegenüber beginnt die Altstadt, eingerahmt durch eine mächtige vier eckige Mauer. Irgendwo auf der Einkaufstrasse fand sch dann ein Schuhgeschäft, um die nassen gegen trockene Schuhe zu wechseln. Der Verkäufer lachte ein bischen, als der Tourist nach dem Bezahlen im Laden Socken und Schuhe austauschte.
Am Ende der rue de la république steht der Papstpalast, ein gotisches Ungetüm, erbaut als es mehrere Päpste gleichzeitig ihre Macht ausüben wollten und einer davon aus politischen Gründen in Avignon wohnte.
Die Räume und Gänge des Palastes sind hoch und düster, eigentlich nicht der Rede wert. Nur die Kapelle ist interessant, nicht der Architektur wegen, sondern weil hier regelmässig Kunstausstellungen statt finden.
Die aktuelle widmet sich dem Künstler Ernest Pignon-Ernest, der als einer der ersten Street Art Künstler angesehen wird. Sein Konzept ist es, Lebens grosse Radierungen auf der Strasse an eine Wand, Säule, Türe oder was auch immer zu kleben und mittels Fotografie die Passanten und das Werk abzubilden.

Gleich nebenan Richtung Rhône liegen die Basilica nôtre dame des doms und der reizvolle Park rocher des doms; der Hügel mit Teichen und Skultputen bietet einen hübschen Blick auf den Fluss und auf die Brücke St. Bénézet, besser bekannt im Lied sur le pont d’Avignon.
Die Besichtigung der restlichen Sehenswürigkeiten war nur noch kurz, da der Regen nicht sehr einladend wirkte.

Parapluie

Regen in Südfrankreich, die römischen Monumente sehen da schon ein bischen traurig aus; musste zuerst einen Regenschirm kaufen, die Wasser dichten Turnschuhe sollen dann später noch in Avignon dazu kommen.
Wenigstens die Bars sehen noch gleich, auch wenn die Verpackungen der Zigaretten in Frankreich alle gleich dunkel braun aussehen, gespickt mit Warnung über die Schädlichkeit des Rauchens. the weakness in me

Bière pression

Die Reise war etwas ermüdend, so über Dijon, Lyon bis zum Tor der Camarque. Beim Verlassen des Bahnhofes beschlich mich das Gefühl, doch schon mal hier gewesen zu sein. Auch ein bière pression konnte mir nicht auf die Sprünge helfen. Waren die Barbaren von damals vielleicht doch in Arles?

Die Lebenden und die Toten

In der Nähe des früheren Wohnortes liegt der Friedhof Sihlfeld; er wurde vor gut 150 Jahren eingerichtet und ist sowohl der grösste Friedhof der Stadt als auch die grösste Parkanlage mit einem alten hohen Baumbestand.
Natürlich erscheint es etwas makaber und nekrophil, diesen Park zu besuchen; doch erinnern seine Grabstätten mit ihren Formen an die Vergänglichkeit von Geschichten.

« of 55 »

Einer der grössten und berühmtesten Friedhöfe ist der Zentralfriedhof in Wien; die reichen Wiener liessen zum Gedenken der Toten teilweise ansehnliche Marmortempel erbauen, die ärmeren und damals unbedeutenden Bürger landeten in einem Massengrab; dieses Schicksal widerfuhr auch Mozart, dessen letzte Ruhestätte lange unbekannt blieb.
Oft gibt es der sogennante Friedhof Tourismus, d.h. die Besucher strömen zum Grab eines berühmten Künstlers, Malers, Schriftstellers und legen Gaben dar; so z.B. in Paris, wo das Grab von Jim Morrison auch heute noch mit Blumen beschenkt wird. Auch auf dem Sihlfeld liegen Persönlichkeiten, die mit ihrem Werk und Engagement die Welt etwas verändert haben: Henry Dunant, Gründer des IKRK, Gottfried Keller, Schriftsteller und Politiker, Johanna Spyri, Jugendschriftstellerin und adnere lokale Berühmtheiten.
In der westlichen Tradition sind Grabanlagen wichtig als Sinnbild und Hoffnung einer Auferstehung, in der östlichen Welt werden die Toten oft verbrannt und die Asche in den Fluss gestreut als Zeichen der ewigen Wiederkehr von Leben und Tod. Interessant ist, dass in beiden Kulturkreisen es ein Fest der Toten gibt; in China werden für die Toten Papiergeld verbrannt in der Annahme, dass die Verstorbenen es auf ihrer nächsten Reise brauchen können, das Fest Allerseelen gedenkt mit Gebet und Hoffnung auf Erlösung den Gegangenen.
„Das kostbarste Vermächtnis eines Menschen ist die Spur, 
die seine Liebe in unseren Herzen zurückgelassen hat.“ (Irmgard Erath)

Spurensuche

Die Provence, dieser Flecken Erde im Süden von Frankreich sollte das Ziel der Bildungsreise werden. Diese Region, wo schon Kelten, Griechen, Römer, Franken und andere ihre Städte gründeten oder zerstörten, diese Region, durch die die römischen Legionen nach Spanien, die Elefanten von Hannibal nach Italien, die Kreuzritter zur Eroberung von Jerusalem zogen. Diese Region, gesegnet mit antiken, mitteralterliche und neu zeitlichen Bauten, die Aquedukte, die Amphhitheater, die Kirchen usw. Diese Region mit ihren endlosen Sonennblumen- und Lavendelfeldern, fest gehalten in den Werken von van Gogh. Diese Region erwartete wohl kaum damals die Invasion dieser Barbaren aus dem kleinen Bergtal, zumal diese Barbaren weniger an der Kultur als viel mehr an den weltlichen Genüssen des Lebens interssiert waren; für viele war es die erste grössere Reise.
Es war die letzte gemeinsame Reise der Schulklasse, bevor jeder seines Studien- oder Ausbildungweges gehen würde; die Stimmung im Hochsommer war perfekt, es herrschte eine Ausgelassenheit, da das Ende der Schule in Sicht war und etwas neues beginnen würde. Niemand ahnte, welche Stürme im Leben noch kommen würden. Man tuckerte friedlich auf den Hausbooten von St. Gilles die kleine Rhône und deren Kanälen runter, vertrieb die Zeit auf Deck mit Karten, Lesen, Labbern und Mücken tot schlagen, tauchte in das schmutzige Wssser der Kanäle, trank von diesem billigen Landwein, der an den Schleusen in Kanistern angeboten wurde, kochte Spaghetti an Bord oder ging in den ländlichen Restaurants essen, die ein billiges Dreigang Menu anboten.
Das Leben war easy, man hatte etwas Geld gespart von der Arbeit im Lebensmittelladen und gab es aus für Zigaretten, Essen und Wein.
Die kulturellen Vorschläge der Lehrer wurden grössten Teils ignoriert, wer will schon bei 33° Arles, Beaucaire oder Tarrascon besichtigen; lieber liess man sich auf dem trägen Fluss runter treiben Richtung Meer, Richtung St. Marie de la mère, hin zu den Wahrsagern und den Zigeunern.
So soll Jahre später die Spuren dieser helvetischen Invasoren nachgegangen werden, die kulturellen Schätze der Region bewusster angeschaut werden; vielleicht lassen sich ja noch ein paar Spuren von damals finden. Spurensuche in der Provence.

Čechov

Die Pflanzen im Kästchen seien Moose, Flechten und Pilze. Sie habe diese eben von einer Expedition aus der Nordpolregion mitgebracht.
Eigentlich wollte ich nur wissen, ob am Stand Biodiversität an der Scientifica das Institut beteilgt ist, wo ich früher mein Unwesen trieb. Sie sprach englisch und fing an zu erzählen und Bilder aus einem Heft von national geographics zu zeigen; das Heft trug den Titel «Tod der Arktis» und brachte dem breiten Publikum die aktuellen Forschungsergebnisse über Klimawandel und deren Auswirkungen auf den Nordpol näher.
Ja, die Forschungsstation liege in Russland, nördlich von Jakutsk am Polarmeer, ein sehr weiter Weg von Zürich. Die Uni Zürich betriebe in Zusammenarbeit mit der Universität Jakutsk ein Station, sammle jeweils in den Sommermonaten teils mit Hilfe einer Drohne meteologische, ökologische und terrestrische Daten. Dieses Jahr sei überigens ausserordentlich warm gewesen, 29 Grad Spitzenwert, was nicht gut sei für den Permafrost, da dieser auftaue, den Boden absacken liesse und Unmengen Methan freisetzen würde. Die Häuser im Norden würden überigens auf Pfählen gebaut, damit beim Auftauen des Bodens keine zu grossen Risse entstehen.
Die Menschen im Dorf seien Sammler und Jäger, sie fingen Fische, schiessen Wild und ernten Beeren; in neuerer Zeit allerdings hätten sie angefangen, Mamutknochen aus dem Boden freizulegen, wobei sie einfach heisses Wasser in den gefrorenen Boden pumpten, bis er aufgetaut sei und sie Gruben graben könnten. Obwohl ihre Religion eigentlich es verbiete, würden die Knochen ausgebuddelt und nach China verkauft, weil dort ein Amulett aus Elefanten- oder Mamutknochen Glück bringen würde. Die gezahlten Preise, bis zu tausend Rubel das Stück, liesse die Leute ihren Ahnenglauben vergessen.
Ja, die Politik interessiere sich nicht, dass in 30 Jahren die Tundra und wahrscheinlich auch der Eisschild des Nordpols verschwunden sei; ganz im Gegenteil, die Anrainerstaaten beginnen schon, ihre Ansprüche zu deklarieren, weil unter dem Eis grosse Erdöl und -gasvorkommen vermutet würden, ebenso erhoffen sie den Abbau von Metallen aus dem Meeresgrund. Der Handel würde auch von einem Eis freien Nordpol profitieren, könnten doch so die Containerschiffe aus Asien die viel kürzere Route über das Eismeer wählen. Das Engagement für den Erhalt dieses riesigen Ökosystemes sei mehr als halb herzig, dass dabei auch Tiere wie der Eisbär und Vogelarten aussterben würden, wird still schweigend in Kauf genommen.
Ich fragte sie, woher sie komme; aus St. Peterburg. Sie sprach wirklich sehr gut englisch, leider mit diesem grauenhaften amerikanischen Akzent.
Sie strahlte, als ich ihr beim Abschied meine tiefe Bewunderung für Čechov und die anderen russischen Schriftsteller zum Ausdruck brachte.

Bildergebnis für tundra
Bildergebnis für tundra Bildergebnis für tundra

Tasteria

Eines dieser integrativen Projekte heisst Tasteria; die Tasteria ist, wenn man es nüchtern betrachtet, ein karges Restaurant in der Industrieregion im Norden der Stadt, untergebracht in einem lang gestreckten Gewerbegebäude. Geöffnet ist das Lokal nur während der Woche, da an den Wochenenden sich nur die Besucher des angrenzenden Brockenhauses in diese Gegend verirren und es sich deshalb nicht lohnt, geöffnet zu haben.
Diesmal wurde jedoch eine Ausnahme gemacht; als Dank für den freiwilligen Einsatz wurde ein Sommerfest organisiert; es kamen viele, zusammen mit den zu begleitenden Menschen.
Die Restaurant Crew, bestehend aus einer dreiköpfigen Küchenmannschaft, wahrscheinlich aus Syrien und irgend einem Land aus Afrika, hatte sich ins Zeug gelegt, Tofu, Kartoffeln, Mais, Auberginen, Würste, Pouletschnitzel und diverse Salate vorbereitet, die Gäste standen brav Schlange und schöpften aus den Schüsseln die Gerichte in ihre Teller oder liessen sich vom schwarzen Bedienpersonal die Stücke dar reichen.
An den Tischen wurde Hochdeutsch gesprochen, da sassen Somalier, Kurden, Afghanen und woher auch immer mit ihren Kindern und versuchten so gut wie möglich sich an den Gesprächen zu beteiligen. Von der Strasse sah der Anlass wie eine riesige fröhliche Familienfeier aus.
Während der Woche wird über die Mittagszeit Tagesmenüs und Take away angeboten, von 8 bis 4 Uhr nachmittags können Snacks und Getränke konsumiert werden.

72

Es war schwül und heiss, die Menschen, von der Arbeit kommend, drängten sich in den Bus.
In der Mitte, dort wo es keine Sitze gibt und normalerweise die Kinderwagen stehen, wartete eine Frau im Rollstuhl, bis der Buschaffeur in seinen kurzen Hosen die Rampe hervor geklappt hatte.
Niemand murrte, dass der Bus länger als erwartet stehen blieb; die meisten schauten vielleicht eher neugierig von ihren Handys auf, wandten sich aber bald wieder demselben zu, als sie sahen, dass die Verzögerung auf einen Rollstuhl zurückzuführen war.